Von Eusebio
– Eusebios Onkel stand aufgerichtet vor seinem Neffen und überreichte ihm ein dickes Buch, betitelt mit «Die Elektrizität». «Nimm das, Bueb, du kannst es brauchen, wenn du Ingenieur werden willst.» Der Onkel wusste, wovon er sprach. Sein elterlicher Hof warf zu wenig ab, um allen Kindern eine Berufslehre zu ermöglichen, geschweige denn ein Studium. Er ging in die Fabrik und wurde Schweisser. Deshalb erscholl damals, in den ersten Nachkriegsjahren, der Ruf nach guter Ausbildung vor allem aus Arbeiterkreisen: «Damit ihr es einmal besser habt!»
Eine Generation später, als viele Fabrikarbeiter von der Werkbank ins Büro wechselten, tönte es anders: «Nieder mit den Autoritäten, wir sind alle gleich!» Von den französischen Revolutionsidealen blieb allein die Gleichheit; Freiheit und Brüderlichkeit gingen verloren. Der Wandel griff unter massivem Druck der Bildungsbürokratie über auf die Schulen.
Ciceros «Jedem das Seine» wurde ersetzt durch Marxens «Jedem das Gleiche»: Keine Leistungszüge, keine Prüfungen, keine Noten, keine Sonderschulen, keine Selektion – denn all dies schaffe Unterschiede, die es nicht geben dürfe.
Dass damit bloss Nivellierung nach unten statt Chancengleichheit erreicht wird, wurde geflissentlich verschwiegen, genauso die Tatsache, dass Ersatz des Lernens durch Jekami-Schulhauskultur kaum im Sinne der heranwachsenden Jugend liegt.
Bis ins neue Jahrhundert hinein verhinderte allerdings bürgerlicher Widerstand die rasche Umsetzung dieser Ideologie; viele Schulreformen scheiterten in den kantonalen Parlamenten. Doch unbemerkt und mit langem Atem wühlten die Reformer weiter, gespiesen mit zeitgeistlichen Ideen aus internationalen Quellen wie der OECD. Die Umsetzung besorgten Bildungsbürokraten in den kantonalen Bildungsverwaltungen, den pädagogischen Hochschulen und im Sekretariat der Erziehungsdirektorenkonferenz EDK. Zweifelhaften Ruf erwarb die Pädagogische Hochschule Zentralschweiz PHZ mit ihrem Versuch, mittels Sexualunterricht und Genderismus in den Lehrplänen linke Gesellschaftspolitik im Unterricht zu verankern (Stichwort «Sexualkoffer»).
Die EDK selbst fungiert als politische «Verkaufsorganisation» bei Volk und Ständen. In dieser Funktion ebnete sie das Feld für die spätere Einführung des Lehrplanes 21 in der Deutschschweiz. Organisierter Widerstand aus der Lehrerschaft galt es frühzeitig zu vermeiden. In erster Linie mussten deshalb die aus dem 19. Jahrhundert stammenden, im Geiste Pestalozzis, Rousseaus und oft auch kirchlicher Kreise stehenden dezentral orientierten Seminare durch «moderne», inhaltlich und strukturell harmonisierte Bildungsstätten ersetzt werden. Dieser Prozess wurde um die Jahrhundertwende abgeschlossen, meist durch die Schaffung neuer pädagogischer Hochschulen. Deren vermeintlich freierer Geist konnte durch Nichtanerkennung von Semestern an externen Universitäten wieder eingeschränkt werden – eine Möglichkeit, welche vorher zum Beispiel den aargauischen Bezirksschulen zu einem besseren Bildungsangebot verholfen hatte.
Wichtiger noch war der machiavellistisch inspirierte Entscheid, die Schulhäuser aus der Obhut intern gewählter Rektoren («primus inter pares») neu fremdgewählten Schulleitern mit massiv ausgeweiteten Kompetenzen zu unterstellen. Damit hatte der historische Volksentscheid von 1882 gegen die Einführung von Schulvögten seine Korrektur erfahren, denn die neuen Schulleiter haben tatsächlich die unausgesprochene Aufgabe, die von der EDK via Bildungsdepartemente verfügten Schulreformen durchzusetzen – allenfalls am Widerstand der Lehrkräfte vorbei. Obwohl die meisten Sonntagsreden von Politikern zum Thema «Schule» mit der scheinheilig geheuchelten Versicherung beginnen, dass die Qualität unseres Bildungswesens selbstverständlich, in erster Linie, hauptsächlich, immer und ewig und überhaupt von der so wichtigen Arbeit der Lehrerinnen abhänge, wurden die Lehrkräfte mit dem Lehrplan 21 zu blossen Coaches stets wechselnder Kinder und Jugendlicher erniedrigt, ohne eigene Gestaltungsmöglichkeit, fremdgesteuert an den seit alters her gültigen Prinzipien von Bildung und Erziehung vorbei. Sie reagieren gegenwärtig mit den Füssen: sie laufen davon.
Damit allerdings haben wir bereits das Millennium überschritten. Wie es seither zur heutigen, allmählich dramatischen Lage im deutschschweizerischen Bildungswesen kam, darüber wird in der nächsten Ausgabe berichtet.