Immer wenn irgendwo ein Terroranschlag unter islamistischem Vorzeichen geschieht, hört man die im Titel erwähnte fragwürdige Ausrede. Diese ist leider allzu oft ein Versuch, sich um die besondere Verantwortung für die Interpretation seiner eigenen Religion zu drücken.
Wenn «heilige Schriften» wörtlich ausgelegt werden, hat das stets mit der betreffenden Religion zu tun, und das daraus resultierende Konstrukt mag durchaus, wie bei den Islamisten, pervers sein. Beim Islamismus handelt es sich um eine begründbare wörtliche Interpretation des Korans und der Hadithen. An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei.
Darum ist es letztlich unehrlich, dies zu bestreiten. Statt vor der Verantwortung davonzulaufen, sollte man für eine gemässigte, menschenwürdige Auslegung der «harten Texte» (Rabbi Jonathan Sacks) eintreten. Der jüdische Mainstream hat dies mit den abscheulichen Stellen im Alten Testament getan.
Der Islam hat in dieser Hinsicht noch riesigen Nachholbedarf. In diesem Zusammenhang habe ich kürzlich festgestellt, den Islam zu mässigen und zu «liberalisieren», sei eine Aufgabe irgendwo zwischen Herkules und Sisyphus.
Natürlich ist die hier kritisierte Reaktion zunächst einmal verständlich. Wir alle neigen dazu, das, was wir lieben, zu verteidigen.
Wenn eine Abscheulichkeit im Namen meiner Kirche, meines Glaubens, meines Landes geschieht, so ist es auch mein erster Impuls, zu sagen: «Diese ‹Sa..rei› hat doch nichts mit meinem Glauben, meinem Vaterland usw. zu tun.» Doch, es hat damit zu tun, wenn man sich dafür systematisch und begründet auf einen Glauben, die Kirche, den Staat, die Nation oder eine Ideologie beruft – auch wenn es sich um eine falsche Auslegung handelt, die ich selbst nicht mittrage.
Liebe darf nicht blind machen. Sie soll der Wahrhaftigkeit nicht im Wege stehen. Herbert Meier
PS: Der in diesem Artikel erwähnte Rabbi Jonathan Sacks, Chief Rabbi of the United Hebrew Congregations of the Commonwealth von 1991 bis 2013 und einer der hervorragenden Köpfe des zeitgenössischen Judentums, schrieb zum Thema ein ausgezeichnetes Buch mit dem Titel «Not in God’s Name – Confronting Religious Violence», New York, 2015.
Beim Islamismus handelt es sich um eine begründbare wörtliche Interpretation des Korans und der Hadithen.